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Channel: New Zealand 新西蘭 – dunkelangst.org by H. 赫穆 Roewer
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Postkarte aus Neuseeland

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Jetzt gerade habe ich meinen Briefkasten geleert und in diesem eine Postkarte aus Neuseeland gefunden. Von meiner Schwester. Jetzt denken alle meine Leser bestimmt: typische Touristen-Karte: heute habe ich diese und jene Sehenswürdigkeiten gesehen, Schöne Grüße. Doch dem ist nicht so. Über den Inhalt der Postkarte werde ich nicht schreiben – wohl aber über die Gefühle, welche die Postkarte in mir ausgelöst hat. Und über diese Gefühle kann ich schreiben ohne die Privatsphäre anderer zu verletzen, da diese Gefühle mir gehören.

Postkarte aus Neuseeland; kein Foto zu sehen; bedruckte Pappe mit dem Motiv eines Kiwis. Über diesen Vogel ist die Aufschrift Kiwi can fly zu lesen

In der Postkarte selbst war noch ein kleiner Aluminium Kiwi zum selber zusammenbauen dabei:

kleiner Kiwi zum selber zusammenbauen

Bauanleitung für Aluminium Kiwi

Zusammengebauter Aluminium Kiwi

Als ich 14 Jahre alt war, hatte ich wie viele andere Jugendliche auch, Konfirmation; ich bin Protestant. In der Kirche ist mir aufgefallen wie klein meine Familie eigentlich ist: Mutter, Vater, Schwester, Cousin, zwei Cousinen, Tante mit Ehemann, Onkel mit Frau und Oma waren da. Das war genau eine Kirchenbank voll. Andere Familien haben gleich drei, vier oder fünf Kirchenbänke belegt. Es war ein komisches Gefühl damals. Ich hatte fast den Eindruck zu einer aussterbenden Familie zu gehören.

Heute kam die Postkarte und sie löst eigentlich zwei Gefühle in mir aus. Zum einen ist da die Freude, dass meine Schwester an mich gedacht hat, während sie gerade in Neuseeland ist. Zum anderen ist da der riesige Klos im Hals, der mich schlagartig daran erinnert, dass ich im März 32 Jahre alt werde und meine andere Hälfte der Familie nicht einmal kenne. Diese wohnt nämlich in Neuseeland. Mein Vater ist Neuseeländer; demnach sind meine Schwester und ich auch halbe Neuseeländer. Dass nun in der Postkarte nichts über Sehenswürdigkeiten steht, wenn man das erste Mal im Leben die andere Hälfte der Familie trifft, kann man sich denken. Ich bin zutiefst bewegt von dem Inhalt dieser Postkarte.

Außerdem verspüre ich Wut im Bauch und zwar auf den neuseeländischen Staat, welcher mir meinen neuseeländischen Pass verweigert. Die Gründe habe ich vor einigen Monaten in dieser Publizierung schon einmal angerissen, werde dazu aber noch einmal einen ausführlichen Beitrag schreiben. Ich habe, rein juristisch nach Neuseeländischen Recht keinen Anspruch auf einen neuseeländischen Pass, obwohl mein Vater Neuseeländer ist. Das ist für mich bis heute zutiefst verletzend. Ich fühle mich mein Leben lang nicht richtig Deutsch, wenngleich ich hier aufgewachsen bin. In mir haben schon immer zwei Kulturen gelebt: die deutsche und die neuseeländische. Und selbstverständlich möchte ich als Kind die Staatsangehörigkeit meiner Eltern haben, also die deutsche und die neuseeländische Staatsangehörigkeit. Beide sind Teil meiner eigenen Identität. Dieses Thema ist nicht nur für mich verletzend. Auch mein Vater trägt hier zu Recht eine unglaubliche Wut mit sich im Bauch herum: Seine Kinder sind keine Neuseeländer. Punkt. Solltest du schon Kinder haben: Wie würde es sich für dich anfühlen, wenn dir dein eigenes Land deinem Kind die eigene Staatsangehörigkeit verweigert?

Und dann ist da noch die eine Frage: Weshalb bin ich bald 32 Jahre alt und war noch nie dort unten? Schule, Ausbildung, Studium, die erste Anstellung: alles hatte Priorität. Nur der Flug da runter noch nicht.

Wie auch immer; ich habe heute beschlossen: Ich werde irgendwann in den nächsten zwei Jahren nach Neuseeland fliegen. Ich werde dort als Tourist einreisen, was mir sehr weh tun wird. Ich will meine Familie kennenlernen.


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